Was war bloß mit dem „Ferkentschein“?

 

Hochzeitsaufregungen in verstaubten Akten.

 

Früher konnte so wenig wie heute ein Eheschluß erfolgen ohne vorhergegangenes Aufgebot in der Heimatgemeinde und am früheren Wohnort.

Bis zur Begründung der Standesämter von 1874/75 erfolgte die „Proclamation“, die Verkündung vor der Gemeinde nach dem sonntäglichen Gottesdienst und eine Bescheinigung darüber war vonnöten ehe der feierliche Akt der Eheschließung vollzogen werden konnte. Früher wie heute mag manch ungeduldiger Stoßseufzer gen Himmel geflogen sein, wenn dem heiratslustigen Paare dünkte, das, Amtsrösslein trabe gar zu langsam. Dass aber ein solcher den Lauf der Zeit überdauern konnte, das ist eine der reizvollsten Überraschungen die Familienforschung mit sich bringen kann.

 

Ein recht drastischer Notruf aus bedrängtem Herzen war es, der – etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts (ca. 1850) wohlerhalten noch zieren Siegel und Dreikreuzermarke das vergilbte Scheiben – an das „Wollebliche Pfarr Amt“ einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Ludwigsburg gerichtet wurde:

  „Eier Hochwohlgeboren“ so begann der Schreiber höflich, um in höchst eigenmächtiger Orthografie und immer ungeduldiger werdend Schriftzügen energisch fortzufahren (ohne jegliche Interpunktion, die hier zum leichteren Verständnis eingefügt ist) „Bütte ich zuerst um entschuldiggung in dem ich mich erlaube, an Sie zu schreiben. Waß mich dazu feranlaßt ist das dass das wohllebige Pfaramt Bühlerzell ungefer for 6 Wochen den ferkentschein an Sie abgesant hatte und da Dies jetzt keine Antwort so wie auch kein ferkentschein anher gesant wurtte, so mechte ich Eier Hochwohlgeboren Bütten um Schnelle Nachricht allwo der selle were. Dieser ferkentschein ist von Beitte Braut bar (soll heißen Brautpaar) Joseph Lechner von Bühlerzell und FriederRieke Seiz von Meglingen (Möglingen) Da wir Beitte Brautteile hingehalten wurden Dies Jetzt wegen dem ferkenschein der Nicht zu rik geschikt wurte auf die Zeit allwie Ehr hette kommen Sollen so Bütten wir dass Sie uns so Schnell als Meglich Benachrichtigen oder daß Pfar Amt Bühlerzell. Sollte der ferkenschein in Nechster Tagen nicht kommen so bin ich genettigt die Reiße Selbst zu unter nemmen was mit großen Kosten fergnifpt ist. Wir Bütten Sie Mechten die Güte haben und uns gleich benachrichtigen allwo der selle werre dass Geli werre Sie vom Johannes Lillich in Egolsheim (=Eglosheim) Bekomen.

 

Rebst befflich in Pfellung (=Empfehlung)

                                   Joseph Lechner

                        Wirth in Kammerstett bei Bühlerzell

                                   OA Ellwangen

 

Ob der Pfarrherr den so sehnlichst erwarteten Verkündschein gleich absenden konnte? Oder ob der Wirt aus Kammerstett (dessen Wein ganz außer allem Zweifel besser war als seine Schreibkünste) die mit großen Kosten „vergnifpte“ Reise ins Oberamt Ludwigsburg antreten musste um das wichtige Dokument selbst zu holen ehe er seine Frieder Rieke heimführen durfte.

 

(vermutlich von Pfarrer Rentschler in den Heimatglocken abgedruckt)

 

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