Otto
Salzer
Aus
den Erinnerungen
eines
aus Möglingen stammenden
Rennfahrers
In den Werkstätten
Gottlieb Daimlers, in die ich 1896 eintrat, arbeitete ich zunächst als
Schlosser, später dann in der Montageabteilung. Den Begriff der
Montageabteilung von damals darf man dabei natürlich nicht vergleichen mit der
heutigen Fließbandfabrikation, vielmehr wurden seinerzeit immer höchstens drei
Wagen neu aufgelegt, und nebenher waren an etwa zehn Wagen Überholungsarbeiten,
Reparaturen und Versuche durchzuführen.
Das Automobilfahren
mußte man noch von selbst lernen, denn es gab noch
keine Fahrschulen und Fahrprüfungen, man war also ausschließlich auf sich
selbst angewiesen, und dies hatte naturgemäß seine unbestreitbaren Vorteile.
Aus den ersten Anfängen meiner Fahrertätigkeit heraus hatte ich verschiedene
Male Gelegenheit, mit Gottlieb Daimler Versuchsfahrten ausführen zu dürfen. In
Einzelheiten kann man diese Versuchsfahrten nur andeutungsweise schildern, und
ich will mich daher auf den Hinweis beschränken, daß
Ketten- und Kardanwagen damals noch unbekannte Begriffe waren, sondern die
Fahrzeuge jener Zeit lediglich einen Riemenantrieb, der mittels Spannrolle
betätigt wurde, aufwiesen. Die Lenkung war ein Zahnsegment mit Zahnstange, die
Bremsen bestanden aus Hartholzklötzen auf dem Vorgelege, der Motor war ein
Zweizylinder mit Glührohrzündung und Schwungradkühlung sowie Spritzdüse. Wurde
ich zu einer solchen Versuchsfahrt vor die Villa Gottlieb Daimlers in Cannstatt
bestellt, dann erkundigte sich mein Chef stets zuerst danach, ob ich schon mein
Frühstück eingenommen hatte. War dies nicht der Fall, kommandierte er mich zu
Tische, und erst dann ging es los. Oft führte uns dabei unser Weg von Cannstatt
über das Katzensteigle nach Fellbach oder Schorndorf,
und man lache nicht, denn es handelte sich stets um eine halbe Tagestour. Die
Tücken des Schicksales, die zu überwinden waren, kann
man nur andeutungsweise erwähnen: Bei heftigem Wind wurde einem die Zündflamme
ausgelöscht, oder es war der Antriebsriemen zu lang, oder er war gebrochen, zu
seiner Wartung durfte, nebenbei bemerkt, das Kolophoniumpulver nicht fehlen,
und wegen dieser Ursachen war man dabei weit mehr neben oder unter dem Wagen
als auf dem Führersitz. Kein Wunder, daß man sich
nach solch harter Arbeit, und dazu noch in jungen Jahren, öfter einmal stärken mußte, so daß trotz all der
schweren Arbeit auch die rein menschliche Seite des Lebens zu ihrem Recht kam.
Nach Beendigung der Fahrten gab es dann eine Art Manöverkritik, die allerdings
lediglich in einer Aussprache zwischen dem Chef und mir über die gemachten
Erfahrungen und die anzustrebenden Verbesserungen bestand.
Eine mir willkommene
Abwechslung bot sich im Jahre 1898 mit meiner Entsendung zu einer achttägigen
Distanzfahrt nach Wien, bei der es galt, gegen die Pferdekonkurrenz anzutreten
und die Überlegenheit des Automobiles nachzuweisen. Meine Gegner und
Konkurrenten waren zehn Einhufergespanne, und das Vergnügen sollte etwa acht
Tage dauern. Die Fahrt begann morgens in aller Frühe, aber schon nach ca. 30 km
gab es plötzlich einen Krach, und mein stolzer Wagen lag im Graben. Mein
Begleiter fiel unter das Vorderrad, kam aber glücklicherweise unverletzt wieder
zum Vorschein. Die Untersuchung des Schadens ergab, daß
die Vorderfeder gebrochen war, und mein Begleiter glaubte schon an ein für uns
wenig rühmliches Ende dieses an sich so verheißungsvollen Beginnes unserer
sportlichen Bestätigung. Dies lag jedoch keineswegs in meinem Sinne, denn so
rasch wollte ich die Flinte nicht ins Korn werfen, und ich überlegte daher, auf
welche Weise man die Feder wieder reparieren könne. Gelegenheit hierzu fand ich
in einer Dorfschmiede, die etwa eine Stunde von der Unfallsteile entfernt war.
Nach Beendigung der Reparatur wurde dann der Rückweg zum Wagen angetreten und
die Feder wieder eingebaut. Weiter ging die Fahrt, und am Abend konnte ich als
Erfolg verzeichnen, daß die Pferdefuhrwerke wieder
eingeholt waren. Sonst auftretende Mängel, und es waren damals ihrer nicht
wenige, mußten stets mit den mitgeführten Werkzeugen
durch uns selbst behoben werden. Reparaturwerkstätten gab es selbstverständlich
noch keine, und unsere Ausrüstung glich infolgedessen mehr oder weniger einem
modernen Montagewagen. Wenn man dazu noch bedenkt, daß
auch Ersatzteile in ausreichendem Maße mitgeführt werden mußten,
wird man es mir gewiß nicht verübeln, wenn ich etwas,
ich möchte fast sagen, neidvoll auf die Bequemlichkeiten des heutigen
Herrenfahrers schaue. Tankstellen waren gleichfalls ein noch unbekannter
Begriff, und das Benzin oder, um in der Chauffeursprache zu sprechen, den
Schnaps für unseren Wagen mußten wir meistens aus
Apotheken und Drogerien beziehen, aber auch wenn man eine solche endlich einmal
glücklich erreicht hatte, erhielt man manchmal nur ein Quantum von etwa fünf
Litern, weil diese »Tankstellen der Vorzeit« naturgemäß auf die Bedürfnisse des
Automobilverkehres noch nicht eingestellt waren. Was aber die Hauptsache war:
Die Fahrt klappte, schon am dritten Tage blieben nach und nach sämtliche Pferde
auf der Strecke, da sie aus Übermüdung und Überanstrengung lahmten. Mit meinem
Automobil kam ich als einziger ans Ziel und hatte damit den Beweis dafür
erbracht, daß das Kraftfahrzeug schon damals ein weit
sichereres Beförderungsmittel als Pferdefuhrwerke war.
Gottlieb Daimler wollte
in dieser Zeit, seinem sozialen Empfinden Rechnung tragend, auch seinen
Mitarbeitern einmal Gelegenheit zu einer Automobilfahrt bieten, und es wurden
daher für einen Sonntag sämtliche Beamte des Werkes, es waren seinerzeit
natürlich nur wenige, zur ersten Omnibusfahrt eingeladen. Das Ziel sollte Schorndorf
sein, und ich wurde mit der Führung des Omnibusses beauftragt. Die
Vorbereitungen für eine solche Fahrt nahmen damals längere Zeit in Anspruch,
denn man konnte noch nicht einfach die Garage aufschließen und auf den Anlasser
drücken, vielmehr mußte man erst alles von Hand
durchschmieren, die Maschine und den Wagen gut durchsehen und dann mit der
Andrehkurbel den Motor in Gang bringen. An diesem Sonntagmorgen ging ich, um ja
den Wagen rechtzeitig startbereit zu haben, einige Stunden früher ins Werk. Die
Fahrtteilnehmer wurden alle in ihrer Wohnung abgeholt, und los ging die Fahrt
Richtung Schorndorf. Die Richtung stimmte wohl, das Ziel wurde jedoch nicht
erreicht, denn schon vor Fellbach wurde der Wagen langsamer. Ich mußte anhalten, um nach dem Fehler zu sehen. Auch Gottlieb
Daimler stieg aus und fragte mich: »Na, Salzer, warum halten Sie denn?« Ich mußte ihm erklären, daß nach meiner Ansicht am Getriebe etwas nicht ganz in
Ordnung sei, und er fragte mich dann weiter, ob ich glaube, den Fehler beheben
zu können. Auf meine bejahende Antwort meinte er: »Sehen Sie zu, Salzer, ob Sie
die Sache in Ordnung bringen können, wir gehen so lange in die >Traube<
nach Fellbach, kommen Sie dann nach.« Nach näherer
Untersuchung des Wagens stellte ich fest, daß der
Spurzapfen am Getriebe gefressen hatte. Ich montierte die Getriebewelle ab,
nahm sie auf den Rücken und marschierte damit nach Cannstatt ins Werk. Dort
behob ich den Schaden und trug die Welle zum Wagen zurück und baute sie wieder
ein. Inzwischen war es Nachmittag geworden, in der »Traube« traf ich die ganze
Gesellschaft lustig und fidel an. Gottlieb Daimler fragte mich: »Können wir
jetzt weiterfahren?« Doch meinte er auf meine
bejahende Antwort: »Nach Schorndorf ist es doch zu weit, wir fahren nur nach Grunbach. Dort wurde im Gasthof zum »Hirschen« ordentlich
gevespert, und abends ging es bei bester Stimmung zurück nach Cannstatt. - Wie
sehr Gottlieb Daimler um das leibliche Wohl seiner Mitarbeiter ,besorgt war,
geht daraus hervor, daß er am nächsten Tage an meinen
Arbeitsplatz kam, um sich zu entschuldigen, weil er vergessen hatte, mich zu
fragen, ob ich auch vor meiner Ankunft in Fellbach schon etwas gegessen hätte,
denn er hatte herausgefunden, daß ich außer Kaffee
natürlich, um den Wagen möglichst rasch wieder fahrbereit zu machen, nichts
hatte zu mir nehmen können. Über die Art und Weise, wie ich die Reparatur
durchgeführt hatte, mußte ich ihm ausführlich
berichten.
Ein besonderes Erlebnis
war für mich die Tiroler Fahrt, die ich im Sommer 1898 acht Tage lang mit
Gottlieb Daimler unternehmen durfte. Bei dem von uns benutzten Auto handelte es
sich um einen mit der ersten mit elektrischen Abreißzündung ausgerüsteten „Viktoria“- Wagen. Wir unternahmen verschiedene Berg- und Paßfahrten. Die Aufgaben, die wir bei dieser Fahrt zu
bewältigen hatten konnten häufig nur unter großen Schwierigkeiten gelöst
werden; denn das Bergaufwärts fahren verlangte große Zähigkeit weil der Motor
heiß lief und man vielfach nicht einmal Wasser zum Nachfüllen hatte. Man hatte
Glück wenn man durch Zufall vielleicht in der Nähe eine Wasser-Rieselung fand.
Zuweilen mußte man aber mit seinem Zelteimer noch
einen Fuß marsch von einer Viertelstunde zurücklegen, um Wasser zu fassen. Dann
ging es wieder weiter, aber recht oft dauerte die Fahrt nicht lange, weil
vielleicht ein Riemen brach und dessen Wiederherrichtung oft allerhand
Schwierigkeiten mit sich brachte, weil man ihn mit Bindedraht zusammenhängen
oder mit einem neuen Riemenschloß, sofern ein solches
vorhanden war, versehen mußte. Hatte man nun
glücklich die Höhe des Passes erreicht, mußte man
selbstverständlich wieder den Berg hinunter, und dies war bestimmt nicht
leichter als die Aufwärtsfahrt, weil die Bremsen damals noch recht viel zu
wünschen übrig ließen. Wenn es nämlich längere Zeit bergab ging, fingen die
Bremsen an zu rauchen, und entweder mußte man dann
halten, bis sie wieder abgekühlt waren, oder sie mußten
mit Wasser besprengt werden. Kam man dann glücklich unten an, war es, um am
anderen Tag die Fahrt fortsetzen zu können, notwendig, am Abend noch recht viel
zu arbeiten, um das Fahrzeug wieder einigermaßen herzurichten. Da war z.B. das
Zündgehäuse zu reinigen, die Zündung nachzustellen, Ventile einzuschleifen, die
Bremsen in Ordnung zu bringen, ebenso auch den Riemen auf seine Betriebssicherheit
zu prüfen. Wenn dann endlich der Wagen hergerichtet war, kam Gottlieb Daimler
stets zu mir, um sich zu erkundigen, ob ich in meinem Quartier gut
untergebracht sei, und sagte mir, ich solle nach Beendigung meiner Arbeit zu
einem Viertele zu ihm kommen, um das Programm für den nächsten Tag zu
besprechen. Einen Unterschied zwischen Herr und Chauffeur gab es da nicht; hier
war Gottlieb Daimler nur Mensch im besten Sinne des Wortes.
Bei aller Mühe und
Arbeit hatte die Fahrt aber auch wieder ihre angenehmen Seiten, denn Gottlieb
Daimler hatte seine Freude an den Schönheiten der Berge, und häufig ließ er
mich auf der Höhe anhalten, damit wir diesen oder jenen herrlichen Ausblick
genießen konnten. Solche Gelegenheiten wurden dann nebenher auch noch
wahrgenommen, um nicht allein den Motor abkühlen zu lassen, sondern um uns auch
mit einem guten Tropfen, der hinten im Verdeck untergebracht war, zu stärken.
Das Ergebnis dieser
Tiroler Fahrt war für die folgenden Neukonstruktionen von ausschlaggebender Bedeutung.
Es hatte sich herausgestellt, daß der Motor zu
schwach war und die Bremsen den Anforderungen von Paßfahrten
nicht genügten. Gottlieb Daimler hatte erkannt, daß
eine noch größere Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit angestrebt werden mußte, um den Wagenkäufern ein einwandfreies
Beförderungsmittel an die Hand zu geben. Als Ergebnis dieser Erfahrungen wurden
die Motoren mit »Ritzel-Antrieb« gebaut, und auch die Kettenübertragung auf die
Achse wurde ausprobiert.
Im gleichen Jahre noch,
also 1899, entstand der erste »Phönix«-Rennwagen mit einem 16pferdigen
Vierzylinder-Motor. Mit diesem Wagen, den ich persönlich montierte, wurde das
erste internationale Rennen La Turbie - Nizza durch
Werkführer Bauer, der dabei leider tödlich verunglückte, bestritten. Mit ihm
opferte der erste Automobil-Rennfahrer sein Leben für die Firma Daimler und die
deutsche Automobil-Industrie.
Spezialisten für
Personen- und Lastkraftwagen gab es zu dieser Zeit auch noch nicht, und man mußte somit mit einem eisenbereiften Lastwagen ebenso gut
umgehen können wie mit den Personen- und Rennwagen. So wurde ich ebenfalls im
Jahre 1899 mit einem eisenbereiften sechspferdigen
Zweizylinder-Lastwagen, der eine Tragkraft von. fünf Tonnen besaß, zu einer
Vergleichs fahrt mit Dampfwagen nach England geschickt. Als einziger fuhr ich
mit einem Benzin-Motorwagen. Auch hier hatte ich wegen der Eisenbereifung mit
ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen, denn wenn es bergauf ging und die Straße
naß war, fingen die Räder an zu schleifen, man mußte dann die konischen Radschrauben ins Rad
hineinschlagen, um die Steigung überhaupt nehmen zu können. Am ersten Tag schon
fielen verschiedene von den acht beteiligten Dampfwagen aus, und ich kam am
ersten Tage etwa als Sechster oder Siebter an. Die strapaziöse Fahrt, während
der mehr als 100 Meilen zu bewältigen waren, dauerte zwei Tage. Schon am
zweiten Tag erlangte ich den ersten Platz und passierte auch als Erster das
Ziel. Für diese Fahrt erhielt ich meinen ersten Ehrenpreis, und zwar ein
silbernes Zigaretten-Etui mit Gravierung.
Im Vergleich zu den
heutigen Rekordzahlen mag die Bewältigung einer Fahrtstrecke von 100 Meilen
innerhalb von zwei Tagen vielleicht manchem als eine Bagatelle erscheinen,
damals jedoch konnte die Firma Daimler auf diesen Erfolg, durch den die
Überlegenheit des Benzin-Automobils gegenüber dem Dampfwagen unter Beweis
gestellt worden war, mit vollem Recht stolz sein.
Nach dem allzu frühen
Tode unseres hochgeschätzten und geachteten Gottlieb Daimler, der bereits im Jahre
1900 aus unserer Mitte gerissen wurde, konstruierte Wilhelm Maybach den ersten
Mercedes-Wagen, der ebenfalls unter meiner Leitung montiert wurde. Mit diesem
Wagen war Rennfahrer Werner, der spätere Chauffeur des Deutschen Kaisers, bei
verschiedenen Rennen, so z. B. La Turbie - Nizza,
siegreich.
Aus der weiteren
Entwicklung des Kraftfahrzeugwesens ließe sich noch manches berichten, dies
würde jedoch zu weit führen. Ich will mich daher darauf beschränken, noch kurz
zu erzählen, wie ich selbst zum Rennsport gekommen bin. Die ersten Rennwagen
waren, wie ich schon erwähnt habe, ausnahmslos unter meiner Leitung montiert
und von mir probe gefahren worden. Meine weitere
Aufgabe bestand nun darin, die Fahrer mit den Wagen vertraut zu machen, und
auch den Rennfahrern, so z.B. Jenatzy, die
notwendigen Anleitungen zu geben. Dabei kam auch für mich, wie man so sagt, mit
dem Essen der Appetit, und ich entschloß mich, selbst
Rennen zu fahren. Meine ersten Schritte bei der Direktion waren wenig
erfolgreich, denn Herr Kommerzienrat Fischer konnte durchaus nicht einsehen,
weshalb ich überhaupt Rennen fahren wollte, und Maybach meinte gar, entweder
sei ich Rennfahrer oder Meister, aber nicht beides gleichzeitig. Zunächst kam,
wie so oft im Leben, ein Kompromiß zustande. Ich nahm
das Angebot Adolf Daimlers, mir 40 Mark mehr Gehalt zu geben, wenn ich auf das Rennfahren verzichtete, vorerst an. Im Jahre 1905 wagte ich
den zweiten entscheidenden Vorstoß, und da ich dabei wiederum die gleichen
Einwände zu hören bekam, war ich nahe daran, um meine Entlassung zu bitten, und
ich deutete diese Absicht auch an. Schließlich erhielt ich den Bescheid, daß man mich lieber Rennen fahren als gehen lassen wolle
und, nachdem ich mir noch die Zusage hatte geben lassen, daß
ich nun selbstverständlich nicht nur ein, sondern sämtliche, Rennen bestreiten
dürfe, hatte ich mein Ziel erreicht.
Mein erstes Rennen war
das belgische Ardennen-Rennen im Jahre 1906. An diesem nahmen neben mir Mario
und Jenatzy teil. Die beiden fuhren zum Training an
einem Sonntag weg, während ich montags folgte. An der Grenze angekommen, wurde
ich angehalten und mit der Begründung verhaftet, ich hätte am Vortage eine Frau
totgefahren. Ich mußte zwei Tage in Haft bleiben, bis
der amtliche Nachweis erbracht war, daß ich erst am
Montag losgefahren war. Am Donnerstag vor dem Rennen stellte sich das erste
Unheil dadurch ein, daß mir die Kolbenstange infolge
eines Lagerschadens durch das Gehäuse schlug. Ich hielt Jenatzy,
der vorbeikam, an, und als ich ihm auf sein Befragen den Defekt erklärt hatte,
meinte er, für mich sei das Rennen bereits gelaufen. Dies lag jedoch keineswegs
in meiner Absicht, und ich erklärte Jenatzy mit aller
Bestimmtheit, daß er mir an die Hand gehen und sowohl
an die Fabrik als auch an den Werkführer Mauthe
telegrafieren müsse, damit der im Werk bereitstehende Ersatzmotor bei meinem
Eintreffen am Freitag früh abholbereit sei. Man holte mich bei meiner Ankunft
in Stuttgarter Bahnhof ab, der Motor war fertig und wurde in drei Kisten
verpackt, so daß ich am Abend den Zug mit den drei
Kisten, die ich als Passagiergut mitführte, zur Rückfahrt benützen konnte. Aber
noch lange waren nicht alle Schwierigkeiten überwunden, denn einmal wollte mich
in Straßburg der Bahnbeamte dazu bestimmen, die Kisten nicht als Passagiergut,
sondern auf anderem Wege zu befördern, und erst nach langem Hin und Her
erreichte ich, daß man es bei der ursprünglichen
Beförderungsart beließ. Ich hatte telegrafiert, man solle mich bei meiner
Ankunft in Chenee (?) abholen. Tatsächlich standen
dort auch zwei Wagen bereit; in den meinigen wurden zwei der Kisten verladen,
während die dritte einem anderen Fahrzeug zur Beförderung anvertraut wurde. In
unserem Standquartier Bastogne wurde sofort mit der
Montage des Motors begonnen, das Gehäuse-Unterteil, die Kurbelwelle und das
Gehäuse-Oberteil waren bald eingebaut, jedoch fehlte uns immer noch die dritte
Kiste mit den Zylindern. Endlich nachmittags gegen zwei Uhr, als Paul Daimler
zu mir kam, löste sich das Rätsel. Er klärte mich dann darüber auf, daß der Lastwagen mit einem Brassier-Rennwagen
zusammengestoßen sei und man die Zylinder im Wiesental
habe zusammenlesen müssen. Die Zylinder wurden dann montiert, und ich mußte mich auf dringenden Wunsch von Paul Daimler ausruhen,
um für das Rennen in guter körperlicher Verfassung zu sein. Als ich aber am
anderen Morgen gegen fünf Uhr den Motor laufen hörte, hielt ich es im Bett
nicht mehr aus, zog meinen Renn-Dreß an und unternahm
sofort mit dem wiederhergerichteten Wagen eine
Probefahrt von etwa 200 km. Alles war in bester Ordnung. Auf der Fahrt zum
Start von Bastogne nach Neufchateau
auf einer Strecke von 15 km brachen mir allerdings noch zwei Hakenunterfedern,
und ich kam daher ganz knapp zum Start. Dort wurde ich von Baurat Nallinger mit den Worten empfangen: „Salzer, wo stecken Sie
denn?“ Aber es war keine Zeit mehr zu verlieren, und ich mußte,
wie ich war, starten, ja ich konnte sogar nicht einmal mehr die Brille ablegen.
Erst etwa 200 Meter nach dem Start, kurz vor der Kurve, ließ ich das Steuer los
und riß die Brille herunter. Ich führte drei Runden.
In der letzten Runde traute ich jedoch meinem Benzinvorrat nicht mehr und ließ
mir daher 25 km vor dem Ziel 20 Liter Benzin einfüllen. Das Tanken geschah
damals mittels Schläuchen, und ich hatte das Pech, daß
sich dabei der Gummi dieser Schläuche auflöste und die Gummi-Rückstände die
Benzinleitungen verstopften. Schon nach 5 km mußte
ich wieder anhalten, das Schwimmergehäuse abmontieren, die Leitung nachsehen,
um die Fahrt fortsetzen zu können. Nach knapp weiteren 5 km war das Steigrohr
verstopft, ich mußte dieses abmontieren und
ausblasen. In scharfer Fahrt legte ich dann die letzten 15 km zurück und konnte
das Rennen als Achter beenden. Immerhin hatte ich bei diesem Auftakt in meiner
Rennfahrertätigkeit, mit Lautenschlager als Mechaniker-Beifahrer, die
schnellste Runde des Tages gefahren und bei den Franzosen einen guten Eindruck
hinterlassen, denn diese gaben mir den Beinamen »Le terrible Salzer, acrobate de Mercedes«. Der Anfang war gemacht. Im folgenden
Jahre ging es zum »Grand Prix« von Frankreich, dann 1907 und 1908 zum
»Semmering«-Rennen. 1909 konnte ich einen neuen Semmering- Rekord aufstellen,
der 15 Jahre lang unüberboten blieb und erst 1924 von mir selbst gebrochen
wurde. Weiter konnte ich beim Großen Preis von Le Mans
und 1914 beim Grand Prix von Frankreich Erfolge erzielen, ebenso nach
Kriegsende 1921 im Prager Bergrennen, 1922 ebenfalls in diesem Rennen sowohl
als auch im Karlsbader Bäderrennen und in der Targa Florio. 1923 errang ich beim Solitude-Rennen den ersten
Preis mit einem neuen Rekord, ebenso 1924 im Prager Bergrennen, wo es mir
gelang, mit dem Zwei-Liter-Mercedes-Kompressor-Rennwagen
den seit 1914 bestehenden Rekord zu brechen.
Das Manuskript wurde von Herrn Adolf Seybold / Möglingen zur Verfügung gestellt.
Paul Sauer wählte die aussagekräftigsten
Abschnitte aus den Erinnerungen des aus Möglingen stammenden Rennfahrers aus
und bearbeitete diese für den Druck.
veröffentlicht
in „ 100 Jahre Historischer Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg e.V.“
1997
Otto Salzer wurde am
04.04.1874 in Möglingen geboren, er starb am 07.01.1944 in Stuttgart.
Am 05.10.1896 trat
Salzer in die Daimler-Gesellschaft als Schlosser ein, am 1.1.1900 war er
bereits Meister.
1914 baute er sich in Stgt-Obertürkheim, Unteruhlbacher
Str. 131 ein Haus, in dem er bis zu seinem Tode wohnte.